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Wenn i e Rebschtock wär

In seinem neuen Prosaband "Wenn i e Rebschtock wär" hat Markus Manfred Jung 83 Mundart-Glossen und Satiren versammelt, die in den letzten Jahren in der Rubrik "Lueginsland" der Badischen Zeitung erschienen sind.

Beitrag von Roswittha Frei aus der Badischen Zeitung vom Montag, 23. November 2020 

Illustriert wird diese Auswahl an hintergründigen Geschichten mit Porträtbildern der Malerin Bettina Bohn. Im Titelgedicht, das stimmig mit Bohns Bild des verwurzelten, gekrümmten Holzes korrespondiert, wird der Rebstock zur Metapher für das Leben. Für die Widrigkeiten des Schicksals, für den beißenden Wind, der alle Triebe abfrieren lässt, aber auch für die Kraft, die in den Wurzeln steckt. "Luege, loose, luschtere, im Lebe d Geschichten abgünne, abluchse" – so beschreibt es Jung, wie er im Alltag auf die besten Geschichten stößt.

 Kolumnen voller Zeit-, Sozial- und Gesellschaftskritik

Als hellwacher Beobachter bringt der Schriftsteller Episoden, Erfahrungen, Erlebnisse, Momentaufnahmen pointiert zum Ausdruck. Immer steckt eine Zeit-, Sozial- und Gesellschaftskritik in Jungs Kolumnen, aber auch eine erfrischende Ironie und ein erwärmender Humor. Jede Situation, die Jung glossiert und reflektiert, hat etwas Typisches. Wie er banalen Geschehnissen und unspektakulären Begegnungen lebenskluge Erkenntnisse abgewinnt, das zeigt die Nähe zu Johann Peter Hebel. Jung hat seinen vierten alemannischen Prosaband in Themenbereiche gegliedert. Im ersten Teil "S Stuune macht d Schuel" widmet sich der frühere Gymnasiallehrer dem Lehrersein, dem Sozialverhalten der Schüler, Episoden aus den Klassenzimmern und pädagogischen Einsichten aus "guet zehtausig Unterrichtstäg".

Eine sympathische Selbstironie legt der Autor an den Tag, wenn er in "E Grattel" von einer Zufallsbegegnung auf Sylt erzählt, wo ihn eine Dame am Buffet anspricht: "Si sin doch de Herr Jung, dä mit däne Gschichtli in de Badische Zittung, oder?" Und sich dann herausstellt, dass sie mit dem Zeitungsausschnitt die nassen Wanderschuhe ausgestopft hat ... In dem Teil "O Heimatland!" befasst sich Jung mit seiner Herkunft, mit Bildern, die aus der Kindheit hängen bleiben und langsam wieder zum Vorschein kommen. In "Däheim in de Sprooch" thematisiert er die Bedeutung der vertrauten Sprache. Als erklärter Hebel-Verehrer erweist sich Jung unter dem Titel "Hebel sei Dank". Die Kolumne "Ikone" ist eine wunderbare Hommage an den Dichter.

Aktuelle Themen lebensnah reflektiert

Zeiterscheinungen, neue Medien, Erfahrungen auf einer Zugreise zu einer Lesung in Italien, die Minikamera am Computer für Bildschirmtelefonate, ungebetene Mails mit fragwürdigen Angeboten, die "German Angst", Menschen, die Zuflucht suchen, weil sie aus ihrer Heimat fliehen müssen – diese Themen reflektiert Jung lebensnah und nachdenkenswert. Ob unterwegs, in der Natur, in der Stadt, an Bahnhöfen oder im Wirtshaus: Was er beobachtet, findet seinen Niederschlag in hintergründigen Geschichten. In einem ergänzenden Essay beschäftigt sich der Autor mit der Frage, wie es um den Dialekt in Südbaden steht. Vehement verwehrt sich Jung dagegen, diesen gegen die Hochsprache abzuwerten, als museal zu behandeln und ins "Privatghetto" zu drängen. Vielmehr plädiert er für einen kreativen und modernen Umgang mit der Mundart und gibt Denkanstöße.

Beim Blättern bleiben die Blicke auch an den ausdrucksvollen Porträts alter Menschen aus dem Wiesental hängen, die Jungs Frau Bettina Bohn in weichen Grau-Weiß-Braun-Tönen gemalt hat. Aus den Gesichtern der Frauen spricht Würde, leiser Humor und eine ganz eigene Schönheit des Alters. Auf der beiliegenden CD sind zahlreiche Geschichten in Mundart vom Autor selbst zu hören, aufgelockert durch Zwischenmusiken von Uli Führe.